Samstag, 6. März 2010

Artikel Schaffhauser Nachrichten

Folgender Artikel über meine Diplomarbeit an der Uni Tokio wurde kurz vor Weihnachten 2009 in der Reihe Schaffhauser Forscher der Schaffhauser Nachrichten veröffentlicht. Das Originallayout ist als .pdf mit einem Klick hier zu erreichen. Untenstehend ist der Text hineinkopiert.

Wenn der Boden unter den Füssen zerfliesst



Handwerk des Bauingenieurs
Das eigentliche Handwerk des Bauingenieurs ist der rechnerische Nachweis der Gebrauchstauglichkeit (Verformungen) und Tragsicherheit (Spannungen) eines Bauwerkes. Für diesen Nachweis wird die Einwirkung auf das Tragwerk mit seinem Widerstand an den kritischen Stellen verglichen. Wenn die rechnerische Einwirkung grösser ist als der Widerstand, müssen konstruktive Massnahmen des Tragwerksentwurfs ergriffen werden. Mögliche Einwirkungen sind Eigengewicht des Baumaterials, Wind-, Schnee-, Nutzlasten, Feuer oder Erdbeben. Da man die Grösse der Lasten - die in Zukunft auftreten werden - nicht genau kennt, werden sie statistisch ermittelt aufgrund der Daten aus der Vergangenheit.
Der Widerstand andererseits wird aus physikalischen Modellen und Materialeigenschaften ermittelt. Letztere werden aus Materialtests im Labor und z.T. auch auf der Baustelle bestimmt. Dabei können sich die Materialeigenschaften selbst unter der Belastung verändern, wie dies beim Phänomen Bodenverflüssigung sehr ausgeprägt auftritt, welches im Folgenden beschrieben wird.

Phänomen Bodenverflüssigung
Boden (sog. Lockergestein im Gegensatz zu Fels als Festgestein) besteht aus einzelnen Körnern verschiedener Grösse, deren Zwischenräume mit Luft und Wasser gefüllt sind. Das Gesamtverhalten wird dabei bestimmt durch die Dichte der Lagerung, Form und Grösse der Körner und die Art der Lasttaufbringung. Die Last wird dabei einzig durch den direkten Kontakt zwischen den einzelnen Körnern übertragen, wodurch diese Kontaktkräfte Schlüssel zum Verständnis des Bodenverhaltens werden.
Wenn locker gelagerter, mit Wasser gesättigter Sand sehr schnell verdichtet wird (wie z.B. bei einem Erdbeben), hat das Wasser in seinen Zwischenräumen nicht genügend Zeit, an die Oberfläche zu entweichen. Dadurch entsteht ein sehr grosser Wasserdruck, der die Sandkörner aufschwimmen lässt wodurch sich das Bodengemisch wie eine hochviskose Flüssigkeit verhält. Dieses Phänomen wird Bodenverflüssigung genannt und kann ganze Dämme zerstören, Stützwände verschieben oder Häuser umkippen lassen.
Bodenverflüssigung tritt in Japan aus zwei Gründen speziell oft auf. Erstens da die Erdbebenintensität an der tektonischen Grenze der Eurasischen, Nordamerikanischen und Philippinischen Platte sehr hoch ist. Zweitens weil viele lockere Sanddeponien in Küstennähe bestehen durch Aufschüttungen von künstlichen Inseln aus Platzmangel.

Austausch nach Tokio

Mein spezielles Interesse im Erdbebeningenieurwesen liess mich über einen Aufenthalt an einer Gastuniversität Japan nachdenken, wo dieses Fachgebiet durch die grosse Erdbebengefährdung sehr weit entwickelt ist. Durch ein akademisches Mobilitätsprogramm erhielt ich dann die Möglichkeit, mein letztes Studienjahr und damit auch meine Diplomarbeit an der renommierten Universität Tokio (jap. Tokio Daigaku) zu absolvieren. Betreut wurde die Arbeit von Professor Puzrin von der ETH und Professor Towhata von Tokio, womit ich stets zwei Meinungen hatte aus zwei Fachgebieten, zwei Bildungssystemen und zwei Kulturen.



Rütteltischversuche Untersuchungen von Erdbebenphänomenen im Labor
Erdbebenphänomene können durch Experimente einerseits und durch Computersimulationen andererseits systematisch untersucht werden. Im Rahmen meiner Diplomarbeit an der Universität Tokio befasste ich mich mit der Vermeidung von grossen Verformungen von verflüssigtem Boden durch Baugrundverbesserungen mit Zementsäulen. Letztere werden durch Mischen von Zement mit dem vorhandenen Bodenmaterial zu einer festen Säule gemacht. Der sich verflüssigende Boden muss so um diese Säulen herum fliessen, was die Bewegung stark reduziert. Fragestellung war, wie steif die Säulen tatsächlich sein und in was für einem Raster sie angeordnet werden sollen.
In Modellexperimenten auf dem Rütteltisch (siehe Bilder unten) wurden die Einflussparameter der Säulen auf das Ausmass der Bodenverflüssigung und das Ausmass der Verformungen. Diese beiden Grössen stehen bemerkenswerterweise nicht in direktem Zusammenhang, da die hohen Wasserdrücke bei weichen Strukturen besser entweichen kann. Diese Experimente wurden in einem Massstab von 1:10 durchgeführt, damit die Modelle überhaupt auf dem Rütteltisch Platz fanden. Die Massstabseffekte sind stets ausführlich zu prüfen; im vorliegenden Fall sind die Kräfte aus Eigengewicht sehr klein, da das Modell viel weniger hoch ist.

In einem zweitem Schritt wurde ein Computermodell durch die vorangehenden Experimente kalibriert und verschiedene Anordnungen der Zementsäulen im Detail verglichen. Die Computerberechnungen basierten auf Fluiddynamik und nicht auf Festkörpermechanik, was auf dieses Problem angewandt ein neuer Ansatz ist. Da das Computermodell beliebig skaliert werden konnte, wurde der Massstabseffekt hier nochmals überprüft.
Aus diesen Untersuchungen konnte gefolgert werden, dass die Eigensteifigkeit der Säulen ein Schlüsselparameter für das Gesamtverhalten des Bodens ist und dass eine zufällige, chaotische Anordnung besser ist als in geraden Reihen, da der Boden dann keine geraden Fliesskanäle hat.

Dieses Forschungsprojekt wird in Zusammenarbeit mit der Privatindustrie weitergeführt, um konkrete Empfehlungen für die Baugrundverbesserungen in der Baupraxis zu entwickeln.

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