Samstag, 25. November 2006

Klein Flo unerwartet im Mittelpunkt des Geschehens

Schon früher habe ich ja berichtet, dass ich ein paar Germanistikstudenten kennen gelernt habe. Nun wollte es aber der Zufall, dass sie über das Thema Reisen eine Projektarbeit schreiben mussten und (wohl nicht ganz zufällig) aus allen schönen Ländern der Welt die Schweiz wählten. Alles begann dann damit, dass mich die ganze Klasse einlud um ein Interview über Reiseziele mit mir machte. Danach wurde ich begleitet von der Kamera zum Eisstadion geführt, wo ich über meinen Aufenthalt in Almaty berichtete. Und letzten Donnerstag war dann die Präsentation ihrer Arbeit, wo ich nahezu wie ein Staatsgast (in Turnschuhen) empfangen wurde. Vor der Fakultät versammelt wurden mir die Eröffnungsworte erteilt, dann wurden die Interviews an einem kleinen Fernseher im Saal gezeigt und es wurde ein kleines Theater aufgeführt, indem ich den naiven Schweizer Touristen spielte, der die Rechnung im Restaurant mit der Frau teilen möchte (was in der klassischen Rollenverteilung der Kasachen völlig undenkbar ist). Am Ende wurde ich (nach einer ausführlichen Fotosession) von der Fakultätsleitung fetten Kuchenessen eingeladen. Die Dekanin hielt mir dort aus dem Stegreif einen druckreifen Monolog über die Suche der Kasachen nach nationaler Identität, der mich sehr beeindruckte. Eine Dozentin machte dann mit mir noch einige Aufnahmen für das neue Deutschlehrmittel, das sie produziert. Die Lektionstexte für das erste Studienjahr beinhalten dann also viel über Birchermüesli, Mountainbike, den Alltag an der ETH und das typische Wochenende eines Studenten. J Die Produzentin sucht übrigens noch Bilder aus der Schweiz. Wenn ihr also gerne in einem Lehrbuch verewigt werden möchtet, schickt mir ein paar Fotos von euch.
Ich plädiere dann dafür, dass das Lehrbuch so etwas wie „Schlüer versus Borat; Deutsch für nicht ganz Humorlose, Band 1“ heisst. Posted by Picasa

Mittwoch, 22. November 2006

Journalisten sind die Witzfiguren der Gegenwart

Es ist schon viele Wochen her, seit ich die Vorpremiere von „Borat: Cultural Learnings of America for Make Benefit Glorious Nation of Kazakhstan“ besuchte. Ich bin also lachend in derselben (wackelnden) Sitzreihe gesessen wie die Feuilleton-Kritiker. Ich hatte das Gefühl, dass verstanden wurde, dass das Kasachstan im Film ein fiktiver Staat ist und dass der Film sie vielleicht auch zum Nachdenken über die eigenen Vorurteile anregen soll. Wenn ich aber heute höre wie Millionen in die Kinosäle strömen, befürchte ich, dass Cohen sein Publikum vielleicht überschätzte, das seine Satire zur reinen Massenblödelei degradiert.

«Ich mache mich nur über die Leute lustig, die glauben, dass Kasachstan wirklich so existieren kann, wie ich es beschreibe. Leute, die glauben, dass es ein Land gibt, in dem Schwule blaue Hüte tragen, Frauen in Käfigen leben und die Menschen gegorenen Pferdeurin trinken.» (Zitat Cohen)

Da ich aber nun mal im Land verweile (dem Cohen wohl nur den Namen entlieh, weil es niemand im Westen kennt), möchte ich euch doch noch ein bisschen mehr von meinen Eindrücken erzählen. In Kasachstan küssen die Männer tatsächlich die Wange und über ihre Bademode bin ich nur unzureichend informiert. Doch das ist nicht, was Kasachstan einmalig macht. Es ist die unendlich scheinende Steppe, die Unbekümmertheit der Grossstädte am Fusse imposanter Bergketten, die Warmherzigkeit und Gastfreundlichkeit der Leute. Es sind ihre Bräuche, ihre Küche und ihre unverbitterte Lebenskunst. Es ist das friedliche Zusammenleben vieler verschiedener Kulturen in einem Land.

Die Satire ist polarisierend. Ich mag Cohens geschmacklose Art, um seinen Interviewpartner noch viel mehr Geschmacklosigkeit zu entlocken. Doch so viel neue Erkenntnis bringt er nicht an den Tag. Die Tore der Wahrheit scheint er mit viel Lärm einzuschlagen, ohne zu merken, dass sie gar nicht verschlossen waren. Dass Dummköpfe dumm sind, wussten wir ja schon vorher. Und über die zweifelhaften Produktionsbedingungen des Films in Rumänien berichten die Medien ja regelmässig.

In Almaty jedenfalls, scheint der Film nicht gezeigt zu werden, obwohl mir die Kasachen nicht ganz humorlos scheinen.

Montag, 13. November 2006

Mein erster Monat


Schon vier Wochen sind nun vergangen, seit ich mich mit einem weinenden Auge von meiner Heimat verabschiedet habe. Seither habe ich viele neue Leute und ihre Sitten kennengelernt. Die Gastfreundschaft ist einfach rührend. Z.B. Asamat, ein kasachischer Germanistikstudent wollte mich gerade der ganze Verwandschaft vorstellen, als ich ihn zufällig in der Bibliothek kennenlernte. Oder Irina, die ich beim Lunch traf, lud mich gerade zu einer Geburtstagsparty gleichentags ein. Dort waren viele ausländische Studenten und Lehrer, die aber schon lange in Almaty leben. Sie haben mich sehr gekonnt in die (Trink-) Bräuche der Kasachen eingeführt. Viele geistreiche Trinksprüche wurden gewidmet, leider aber in Russisch. Der Tisch wurde reichlich gedeckt mit Spezialitäten aus Polen, dem Herkunftsland des Geburtstagskindes.

Wie ihr hört, die Einsamkeit ist also schnell verflogen und musste der Neugierde rücken. Auch der Alltag bringt mir immer wieder neues. Nur schon auf dem Arbeitsweg sprühen im Tram plötzlich Funken, leisten sich die Kasachen ein Hupkonzert oder verstopft ein alter Lada mit einem Platten die Kreuzung. Es scheint alles improvisiert, aber irgendwie völlig natürlich.

Montag, 6. November 2006

Ein Tag im Leben

An das Leben in der Grossstadt Almaty habe ich mich schon langsam gewoehnt. Ich stehe um 7 Uhr auf, koche mir Tee in der Gemeinschaftkueche und esse ein Birchermuesli (das hier etwa soviel kostet wie zu Hause, waehrend die Loehne hier vielleicht 10 mal niedriger sind).

Waehrend meine Mitbewohnerin Paola noch schlaeft, da ihre Arbeit erst um 9 beginnt, mache ich auf den Weg zum Institut. Die Busse sind (wie auch die PWs) groesstenteils ausgediente Modelle aus Nordeuropa. Fuer 40 Rappen wird man dann entlang verstopften Strassen transportiert. Wenn ich dann ankomme, muss ich zuerst zwei Tuersteher passieren, derenen Pflichtenheft nicht so klar definiert scheint. Sie sitzen jedenfalls den ganzen Tag dort und machen nichts. Im Buero reiche ich dann allen Maennern die Hand. Den Frauen wird nur zugenickt, dafuer versuchen sie mich in allen moeglichen Sprachen zu begruessen. Das Teewasser wird gekocht und gerade eine Runde ausgegeben, die Kanne muss schliesslich bis am Mittag leer sein. Dann wird gearbeitet und viel diskutiert, von dem ich aber nur wenig verstehe. Um 13 Uhr stuermen dann alle in die ueberfuellte Cafeteria um eine Suppe zu ergattern oder kaufen sich auf der Strasse einpaar Utschutschmak (frei transkribiert). Das sind naehrhafte Teigtaschen gefuellt mit Hackfleisch, Zwiebeln, und Kartoffeln und werden fuer 35 Rappen angepriesen. Den Rest der Mittagspause spreche ich oft mit den andern Leuten im Buero, die sich an einem Computeruebersetzungsprogramm die Finger wund schreiben um mich mit Fragen zu durchbohren.

Um 17 Uhr packe ich dann zusammen und passiere auf dem Heimweg noch einen kleinen Marktstand fuer den taeglichen Gebrauch. Oft jogge ich dann in der Daemmerung noch eine Weile durch die Strassen Almatys und halte in einem Park, um einpaar Liegestuetzen zu machen. Das finden die meisten Passanten ziemlich komisch. Ich laechle gekonnt zurueck, bis ich dann an die Zubereitung des Abendmahls denken muss. Meist nur kleine Dinge, weil ich nach dem Sport die Utschutschmak nochmals verdauen musste. Oder in einem nahegelegenen Cafe gibts auch eine warme Mahlzeit fuer zweidrei Franken.

Am Abend bin ich dann meist sehr muede von all den Eindruecken des Tages. Manchmal gehe ich noch kurz ausser Haus, meist aber schreibe ich Tagebuch, hoere Musik (wenn ich denn Strom habe im Zimmer), lese ein schoenes Buch und lege mich dann oft schon um 22 Uhr schlafen. So frueh wie ich mir ueberhaupt nicht gewohnt bin. Aber hier ist halt alles anders...

An den Wochenenden gibts dann irgendeinen Ausflug nahe Almaty, eine weitere Sightseeing-Tour oder ein Besuch bei anderen Studenten.

Research Institute for Transport and Communication (NII TK)


Mein Praktikum hat vor einer Woche begonnen und so hatte ich schon einige Eindruecke von der hiesigen Arbeitswelt.

Mein Institut erledigt Forschungs und Projektierungsarbeiten im Bereich Strassen- und Schienenbau. Unsere Gruppe bearbeitet derzeit die Projektierung einer Ringstrasse um Almaty mit dem Namen BAKAD, die den Transitverkehr um die City herum fuehren soll. Meine Aufgabe im Team hat sich allerdings noch nicht so klar herauskristallisiert. Ich bin meistens v.a. meine Mitarbeiter am ausfragen ueber ihre Arbeiten und ihre Besonderheiten. Oft muss ich ein paar Plaene bearbeiten, falten, kontrollieren... und arbeite mit AutoCAD. Die restliche Software sind groesstenteils russische Fabrikate, in die es sich nicht lohnt einzuarbeiten. Ich versuche also eher so grundsaetzliche Ueberlegungen anzustellen.
Meine Mitarbeiter sind zwischen 26 und 65 und sind alles Transportingenieure. Doch der Ausbildungsstand ist sehr unterschiedlich. Mein Betreuer ist noch Dozent an der Transportakademie und scheint ziemlich kompetent. Ein anderer scheint eher Zeichner zu sein als Akademiker. Sie koennen etwa zur Haelfte englisch und die Kommunikation klappt einigermassen, stellt aber beim Erklaeren von einigen Dingen schon Probleme dar. Aber ich lerne auch mit Leuten umzugehen, mit denen ich keine gemeinsame Sprache habe (ausser meinem Laecheln).
Arbeiten muss ich von 8 bis 5 Uhr, aber die Arbeitsmoral ist hier natuerlich schon nicht dieselbe. Wenn man eine halbe Stunde zu spaet kommt, ist das gerade noch puenktlich, denn dann beginnt sowieso erst das Zeitungslesen und Teetrinken. Wenn man sich gerade nicht beschaeftigt fuehlt, kann man auch einfach ein bisschen traeumen im Sessel. Und ich lerne immer einpaar Woerter Russisch im Selbststudium zwischendurch.

Letzte Woche habe ich in einem Plan einen gravierenden Planungsfehler entdeckt. Das ganze Buero wurde mobilisiert um abzuklaeren wie so etwas passieren konnte. Es wurden wohl einfach voellig unplausible Resultate aus den Berechnungen ohne Kontrolle uebernommen. Jedenfalls wurde ich speziell verdankt, was mich sehr freute, denn ich fuehle mich hier oft unter meinem Wert behandelt, was die fachliche Kompetenz anbelangt.