Dienstag, 6. Oktober 2009

Studienbericht über meinen akademischen Austausch als Bauingenieur an „The University of Tokyo“ 2009

Liebe Leser
Mein toller Studienaufenthalt und damit auch mein Studium sind beendet. Ich habe dazu einen Studienbericht für die Mobilitätstelle geschrieben und um ihn einem breiteren Publikum zugänglich zu machen, poste ich ihn hier im Blog. Der Detaillierungsgrad ist allerdings v.a. für Studenten gedacht, die ebenfalls einen solchen akademischen Austausch erwägen.
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Studiengang: Bauingenieurwissenschaften MSc ETH Zürich
Gasthochschule: The University of Tokyo, Tokyo Daigaku
Aufenthaltsdauer: von Okt. 08 bis Aug. 09 (9.&10. Semester)
Art der Studien: Master Vorlesungen, Projektarbeit, Masterarbeit


Vorbereitungen:
Ich entschied im Januar 2008 mich für ein Austauschsemester an der Universität Tokio (Todai) zu bewerben, mit der die ETH ein bilaterales Abkommen unterhält. Im Vordergrund stand für mich das Leben in einer fremden Kultur, aber auch das Kennenlernen des Unilebens dort. Japan ist führend im Erdbebenwesen und die Universität Tokio ist die renommierteste Universität in Japan, wohl in Asien überhaupt. Die Bewerbung nach Tokio war anfangs eher aus spontaner Neugierde, stellte sich später aber als sehr gut heraus und ich bereute diese Entscheidung nie.
Als ich die Zusage von der Mobilitätsstelle erhielt, konnte ich über Prof. Puzrin (ETH) den Kontakt zu Prof. Towhata (Todai) knüpfen, der eine Gruppe im Geotechnischen Erdbebenwesen führt und sich einverstanden erklärte, meine Projektarbeit (Semesterarbeit) zu betreuen.

Ankunft:
Ich reiste schon einen Monat vor Semesterbeginn an, da dieses gegenüber der Schweiz verspätet beginnt und ich mir einige Zeit für die Akklimatisation und die Erkundung der Inseln erlauben wollte. In dieser Zeit reiste ich mit dem Zug durch die Hauptinsel und hatte erste Berührungen mit Japanischer Sprache und Kultur. Ich war sehr neugierig diese Menschen kennen zu lernen. Ihre Schriftzeichen schienen mir wie abstrakte Zeichnungen, ihre Körpersprache oft missverständlich. Doch nie mangelte es an Hilfsbereitschaft, obwohl der Umgang mit Fremden sehr zurückhaltend ist. Wenn man sich aber auf sie einlässt und den Kontakt mit dem nötigen Feingefühl sucht, fühlt man sich bald geborgen in Japan.

Ausländische Studenten:
Da die Todai als die beste Universität Asiens gilt, kommen viele Studenten aus Asien für einen Studienabschluss hierher. Sie erhalten ein Stipendium (meist von der japanischen Regierung) und kehren nach dem Studium oft zurück in ihr Ursprungsland, wodurch ein Wissenstransfer geschehen kann. Viele von ihnen kommen aus China, Korea, Vietnam, Pakistan, Indien oder den Philippinen. Auch aus Südamerika (v.a. Kolumbien) kommen einige. Diese Studenten haben einen so starken Selektionsprozess hinter sich, dass sie sehr motiviert sind hier zu studieren und die Entwicklung ihres Landes voranzutreiben.
Die Studenten aus Europa sind oft als Austauschstudenten hier für ein bis zwei Semester und suchen nicht nur die akademische, sondern auch die kulturelle Erfahrung. V.a. Das Bauwesen (Architektur, Bauingenieurwesen) und Robotik sind sehr beliebt und dadurch auch internationaler (sprich englischsprachiger).
Da all diese Studenten in ähnlicher Lage sind und neue Bekanntschaften suchen, findet man einfach gleichgesinnte an den Studentenpartys, die zu Semesterbeginn sehr zahlreich sind.

Tutorat:
Mir wurde eine Studentin als Tutorin zugeteilt, die mir im Alltagsleben behilflich war, da anfangs selbst kleine Dinge unverständlich erscheinen. Viele Formulare müssen ausgefüllt werden, alles (bis zum Fahrrad) muss registriert werden. Sie half mir auch die Vorlesungen zu planen und die Zimmereinrichtung einzukaufen. Auch das Office of International Students (OICE) der School of Engineering und die Foreign Students Organisation (FSO) des Bauingenieurdepartementes sind sehr hilfsbereit bei akademischen sowie alltäglichen Fragen.

Wohnen:
Ich erhielt ein Zimmer in einem Studentenheim auf dem Komaba Campus. Das Zimmer ist sehr klein (rund 12 m2), beinhaltet aber eigentlich alles Nötige. Ein Raum mit ausklappbarem Bett, eine Wohnwand mit integriertem Tisch, Lampen, Kühlschrank, Herdplatte und einer kleinen Dusch/WC Kabine. Geschirr, Bettzeug usw. Muss selbst eingekauft werden, ev. Kann es aber von einem ausziehenden Studenten übernommen werden.
Der Balkon bietet wunderbare Aussicht auf den naheliegenden und sehr lebhaften Stadtteil Shibuya. Ich kann das Wohnheim „Komaba International Lodge“ empfehlen bei der Angabe der Prioritäten. Wem ein grosszügigeres, schöneres Zimmer wichtiger ist als die Lage und der Preis, der kann sich auch in „Odaiba“ bewerben, das jedoch ziemlich abseits vom zentralen und lebhaften Teil Tokyos befindet, aber eine sehr gute Infrastruktur für Studenten unterhält.

Exkurs über Japans Bildungssystem:
Japan ist sehr leistungsorientiert und Bildung hat einen nicht überschatzbaren Stellenwert. Die Kinder werden schon früh in ausgewählte Schulen geschickt, danach am Abend noch zusätzliche Nachhilfe, denn je besser die Schule, desto grösser die Chance, später die Aufnahmeprüfung an eine angesehene Universität zu bestehen. Wurde das Kind dort mal aufgenommen, können die Studenten zum ersten Mal Durchschnaufen nach gut einem Jahrzehnt konstantem Bildungsdruck. Da die Aufnahmeprüfungen so kompetitiv sind, hat kaum noch jemand Probleme seinen Abschluss zu kriegen. Das Klima an den Unis ist darum relativ entspannt, das Studium steht oft nicht in direktem Bezug zum späteren Beruf. Hauptsächlich der Name der Uni bestimmt die Jobaussichten und wirklich auf den Job trainiert wird man erst in der Firma selbst, für die man meist sehr lange tätig sein wird. Hauptsächlich möchten die japanischen Firmen einfach intelligente Studenten; das Fachgebiet ist dabei zweitrangig.

Universität Tokio:
Die Todai ist unbestritten die Nummer Eins und darum ist das Niveau der Studenten hoch. Von vielen der Abgänger wird erwartet später Führungsrollen in der Forschung zu bekleiden, darum sind die Studiengänge auch sehr forschunsorientiert. Der Hauptteil des Bachelor- und Masterstudiums besteht aus je einer Abschlussarbeit. Die Vorlesungen machen im Gegensatz zur ETH nur einen kleinen Teil aus. Während dem zweijährigen Masterstudium müssen 10 Vorlesungen besucht werden (im Vergleich zu gut 20 Vorlesungen an der ETH).
Bei der Studentenbetreuung gibt es keine Zwischenstufe von betreuenden Assistenten, im Gegensatz zum Mittelbau an der ETH. Als Masterstudent wird man etwa gleich behandelt wie Doktoranden, man erhält einen Forschungsauftrag und über den diskutiert man dann direkt mit dem Professor. Grundsätzlich ist ein ordentlicher Professor der Leiter des Labs. Alle andern vom Assistenzprofessor bis zum Bachelorstudenten sind fast auf gleicher Hierarchie. Niemand entscheidet über den Andern, abgesehen vom Professor.

Lab:
Sobald man von der Universität angenommen wird, wird man der Gruppe des betreuenden Professors zugeteilt, dem sogenannten Lab (Laboratory). Als Student ist man viel mehr im Lab eingebunden als im Studienjahrgang, da man im Lab einen Arbeitsplatz bekommt, wöchentlich ein Seminar hat und auch sonstige Aktivitäten macht. Einige Studenten wohnen fast im Lab, sprich sie essen dort und wenn sie sich viel Arbeit angesammelt haben, schlafen sie auch mal auf der Couch im Lab.
Alle im Lab kümmern sich sehr um ihre Mitstudenten. Die Beziehung zum betreuenden Professor ist ähnlich wie zwischen Doktoranden zu ihren Professoren an der ETH. Man geht ev. auch zusammen auf Ausflüge/Baustellenbesuche und Konferenzen.
Mit den restlichen Professoren hat man nur wenig Kontakt.

Projektarbeit:
Da die Todai sehr forschungsorientiert ist und man selbstständige Arbeiten erledigen soll, ist der Austausch am einfachsten, wenn man das Forschungsprojekt an der ETH als Arbeit anrechnen kann, z.B. Als Projektarbeit oder Masterarbeit. Bei einem Austausch im Bachelorstudium müssten man Mastervorlesungen besuchen, da die Bachelorvorlesungen in Japanisch gehalten werden.

Vorlesungen:
Die Vorlesungsqualität am Bauingenieurdepartement ist durchaus vergleichbar mit der ETH. Es wird viel Konzeptionelles gelehrt, Erdbebenwesen und Numerische Methoden haben einen relativ hohen Stellenwert. Baunormen sind nicht Inhalt des Studienplans, da diese in der Firma selbst gelehrt werden. In andern Departementen ists z.T. Deutlich schwieriger ohne Japanisch Kenntnisse.
Die ersten paar Wochen wurden sehr gemächlich angegangen, da es v.a. im Herbst viele ausländische Studenten gibt, die sich zuerst angewöhnen müssen. Die Vorlesungen werden gegen Semesterende z.T. aufwändig, da bewertete Übungen gelöst werden müssen. Diese Übungen sind anspruchsvoll, v.a. die Numerischen Simulationen. Manche Professoren machen Prüfungen, die den Übungen sehr ähnlich sind.
Ich habe pro Vorlesung drei Kreditpunkte erhalten und habe fünf Vorlesungen besucht, was auch die regulären Studenten machen. Zusammen mit der Projektarbeit (9 KP) hatte ich also 27 KP erhalten, da der Japanischkurs auch dazuzählte. Dies kann ich weiterempfehlen, obwohl am Semesterende ziemlich viel zusammen kommen könnte.

Japanische Sprache:
Es empfiehlt sich natürlich, schon in der Schweiz zu beginnen mit dem erlernen der Japanischen Sprache. Die Sprache ist indogermanischen Sprachen sehr fremd, einerseits durch die Art wie Sätze gebildet werden. Während die Aussprache relativ unproblematisch ist, sind Lesen und Schreiben der chinesischen Schriftzeichen, die durch zwei Silbenalphabete ergänzt werden, sehr schwierig. Wenn man nicht sehr viel Zeit für Sprachkurse aufwendet, kann man nach einem Jahr immer noch nur beschränkt kommunizieren. Die wichtigsten Sätze fürs tägliche Leben sind aber einfach zu erlernen.
An der Todai existiert ein sehr breites Angebot von Japanisch Kursen, die meisten davon sind mehrmals die Woche ca. 1.5h. Das Lernklima ist v.a. In den Anfängerkursen spassorientiert, da prioritär Freude an der Japanischen Sprache geweckt werden soll und die Grundlagen fürs tägliche Leben erarbeiten soll. Dazu gehört auch das Verständnis der Japanischen Traditionen, sodass man auch mal eine Lektion beim Teetrinken oder beim Klatschen im Tempel verbringt. Obwohl der Zeitaufwand gross erscheint, empfehle ich Kurse zu besuchen. Ich wählte den Anfängerkurs J1 der „School of Engineering“, der mir viel Spass bereitet hat. Die Lehrerinnen sprechen relativ gut Englisch und erklären ihre eigene Kultur mit einem Augenzwinkern.
Im Bauingenieurdepartement kommt man durchaus mit Englisch durch, da es sowieso sehr gute Japanischkenntnisse bräuchte, bevor man mit seinem Professor in Japanisch sprechen würde.

Verlängerung meiner Aktivität:
Ursprünglich plante ich nur das dritte Mastersemester (9. Semester) mit einer Projektarbeit zu machen. Das urbane Leben in Tokyo faszinierte mich und die Betreuung durch meinen Professor war sehr gut. Ein Semester scheint in einer so fremden Kultur sehr kurz und kaum fühlt man sich wohl, muss man schon wieder abreisen. Darum bewarb ich mich für ein weiteres Semester und absolvierte schliesslich auch meine Masterarbeit hier. Das Themengebiet war im Wesentlichen dasselbe, „Effekt Verminderung von Deformationen von verflüssigtem Sand“, mit Rütteltischversuchen einerseits und Numerische Fluid Dynamik andererseits.
Wenn man den ganzen Bachelor an der ETH Zürich absolviert hat, darf man gemäss Studienreglement die Hälfte der Kreditpunkte auswärts erwerben. Von dieser Regelung profitierte ich.

Kosten:
Grundsätzlich ist Japan ein teures Land. Für die meisten Produkte wird leicht mehr bezahlt als in der Schweiz. Dies ist unter anderem darauf zurückzuführen dass alles in den Warenhäusern von sehr hoher Qualität ist.
Essen auswärts in den kleinen Restaurants ist relativ günstig (oft günstiger als wenn man sich westliche Kost selbst kocht). Es gibt Nudeln für (400 Yen) 5 CHF, Sushi ab 1000 Yen, ein Mittagsmenue für rund 700 Yen. V.a. Fisch ist natürlich deutlich günstiger als in der Schweiz.
Der öffentliche Verkehr ist relativ teuer. Fürs pendeln mit der U-Bahn und besuchen verschiedener Teile von Tokyo braucht man mehr als 100 CHF pro Monat. Eine Einzelfahrt mit der U-Bahn kostet 2 bis 3 CHF.
Das Wohnen in den günstigsten Studentenheimen ist sehr preiswert, wenn auch bescheiden. Die Miete inkl. Nebenkosten kommt auf rund 150 CHF. Wenn man keinen Wohnheimplatz hat, zahlt man ähnliche Preise wie in der Zürich. Wohngemeinschaften sind eher unüblich, meist werden Einzelzimmer vermietet die einen eigenen Eingang haben.
Wenn man also Essen, Wohnen und Transportieren als den Hauptkostenpunkt betrachtet, kann man in Tokio als Student mit gleichem Budget wie in Zürich leben. Zählt man aber alle Freizeitaktivitäten wie Sport, Ausflüge, Ausgehen auch dazu, wird man leicht mehr Geld ausgeben.

Für den Flug kann ein Antrag für Studienbezogene Reisekosten gestellt werden bei der Erich Degen Stiftung. Da ein bilaterales Abkommen zwischen ETH und Todai besteht, muss man nur die Studienkosten an der ETH normal weiterbezahlen. An der Todai wären sie bedeutend höher für reguläre Studenten.


Mein Aufenthalt in Tokio war sehr bereichernd und ich fühlte mich hier sehr wohl. Ich kann die Todai durchaus weiterempfehlen für einen Austausch.